In der Ausgabe des Bonner General-Anzeiger vom 29./30. April 2023 war auf Seite 4 ein Artikel mit der Überschrift „Anstand als Werkzeug der Unterdrückung“ abgedruckt. Der Beitrag befasst sich mit dem politischen Schicksal der Abgeordneten Zooey Zephyr aus Montana. Die Abgeordnete wurde „…wegen Bruch des Anstands…“ von der im dortigen Parlament regierenden Mehrheit auf Dauer des Plenums verwiesen. Sie hatte den Fehler begangen, von ihren Rechten als Abgeordnete Gebrauch zu machen.
Ganz so weit sind wir im Ortsgemeinderat von Windhagen – Gott sei Dank – noch nicht. Gleichwohl muss man verwundert zur Kenntnis nehmen, dass der Fraktionsvorsitzenden der CDU in der letzten Ratssitzung am 13.04.2023 Mitgliedern des Gremiums mangelnden Anstand vorwarf. Aus seiner Sicht sei es unanständig, dass sich Mitglieder des Gemeinderats als Bewerber für ein Schöffenamt auf die Vorschlagsliste der Ortsgemeinde Windhagen eingetragen hätten.
Der Fraktionsvorsitzende verkennt hier offensichtlich die Rechtslage. Das Schöffenamt, ein wichtiges Element der Justiz in unserem demokratischen Rechtsstaat, unterliegt strengen gesetzlichen Regeln. Wer nicht kraft Gesetzes von dessen Ausübung ausgeschlossen ist, darf sich für dieses Amt bewerben; Mitglieder kommunaler Gremien fallen nicht unter die gesetzlichen Ausschlusstatbestände.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich der Fraktionsvorsitzende der CDU auch nicht durch die eindeutigen Hinweise auf die geltende Rechtslage durch den Ortsbürgermeister von seiner Position abbringen ließ. So kam was kommen musste: Nicht einmal die Mitglieder der CDU-Fraktion folgten in der Abstimmung über die Vorschlagsliste ihrem Fraktionsvorsitzenden.
Den Begriff Anstand zu verwenden, um andere Personen wegen der Wahrnehmung ihrer Rechte zu diffamieren, stimmt bedenklich. Leider handelt es sich bei dieser verbalen Entgleisung um keinen Einzelfall. Im Zusammenhang mit der Begleitung der Fahrraddemonstration im August letzten Jahres durch Polizeibeamte verstieg sich der Fraktionsvorsitzende gar zu der Feststellung, dass das eine Verschwendung von Steuergeldern sei.
Für den Fraktionsvorsitzenden der CDU im Ortsgemeinderat von Windhagen ist offensichtlich die Ausübung verfassungsmäßig garantierter Rechte, wenn das nicht seinem (subjektiven) laienhaften Rechtsempfinden entspricht, unanständig, weil undemokratisch. Ihm sei dringend angeraten, seine Denkweise zu überprüfen!